„Ein schlechter Arzt heilt die Krankheit. Ein Arzt von mittlerer Güte heilt den Menschen. Ein guter Arzt heilt die Gesellschaft.“
Leitsatz der Traditionellen Chinesischen Medizin
Liebe Menschen!

© Objekt und Foto: Jutta Spiecker
Ich beobachte in der letzten Zeit bei einer wachsenden Anzahl von Menschen eine große Verunsicherung. Teilweise, weil insgesamt in der Gesellschaft eine Atmosphäre der Verunsicherung und Angst herrscht und sie sich davon anstecken lassen. Teilweise, weil von außen soviel Druck direkt auf diese Menschen ausgeübt wird, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Entscheidungen frei und unabhängig zu treffen, sondern entweder das „kleinere Übel“ wählen oder in einer Art Schicksalsergebenheit, einfach bei dem mitmachen, was die anderen Menschen machen, also der Herde folgen.
Was ich sehe, macht mich auf verschiedene Weise betroffen. Was mich aber vor allem erschreckt ist, wie viel Angst und Verunsicherung auch von Seiten der öffentlichen, etablierten Medien und staatlichen Stellen erzeugt und immer weiter verstärkt wird. Hierdurch entstehen massive Konflikte im einzelnen Menschen wie in der Gesellschaft.
Daher möchte ich an dieser Stelle ein bisschen darüber schreiben, was Angst im menschlichen Organismus bewirkt. Vielleicht regen diese Informationen zum Nachdenken an und helfen dabei, künftige Entscheidungen wieder mit klarem Kopf zu fällen.
Ich werde hier ein paar Dinge beschreiben, die auf meiner Erfahrung aus Medizin, Naturheilkunde und der spirituellen Traditionen Chinas und Tibets stammen, ohne hier im Einzelnen Quellen und Belege dafür aufzuführen. Jeder kann die Informationen prüfen, abwägen, im Alltag auf Tauglichkeit erproben und seine eigenen Schlüsse daraus ziehen. Was ich berichte, funktioniert in meinem Leben und vielfach im Leben meiner Klienten und Kunden.
Wenn wir über Angst sprechen, müssen wir über das autonome Nervensystem (ANS) sprechen. Die „Absicht“ des ANS besteht in erster Linie darin, unser Überleben zu sichern und uns zu schützen. Von Absicht kann man dabei nicht reden, da die Reaktionen, die vom ANS eingeleitet werden, autonom, also automatisch und selten bewusst ablaufen. Allerdings ist der menschliche Geist sehr erfinderisch darin, diese automatischen Reaktionen im Nachhinein mit schlauen Erklärungen zu begründen, wenn diese schon abgelaufen sind. Doch Vorsicht! Damit betuppen wir uns meist selbst.
Die oberste Prämisse des ANS ist also „Ich möchte sicher sein.“ Das ist nur zu verständlich. Wer will das nicht? Der Haken daran ist aber, dass das ANS aus Erfahrungen gespeiste Muster erzeugt, die nicht immer hilfreich sind.
So kennt jeder solche Ereignisse, dass er/sie in wiederkehrende Situationen gerät mit z.B. den Eltern, dem Chef oder der Schwester usw. und dass dabei immer wieder – hüben wie drüben – die gleichen Reaktionen abspult werden. Und diese Situationen jedes Mal doof ausgehen. Wir nehmen uns fest vor, es beim nächsten Mal auf jeden Fall besser zu machen, aber es klappt einfach nicht. Es läuft immer wieder gleich ab. Die Ursache dafür sind die eingeprägten Muster im ANS, bei uns selbst und dem Gegenüber.

Wenn wir Angst haben, reagiert der Organismus mit Stress. Manchmal ist die Angst bewusst. Sehr häufig aber bekommen wir – unser bewusster Anteil – es gar nicht mit, dass wir eigentlich Angst haben und die vom ANS eingeleiteten Handlunge laufen tief unter dem Radar des Bewusstseins ab. Das ANS bemerkt jede Art der „Gefahr“ in jedem Fall und kreiert dann die verschiedene Reaktionsmuster und / oder Symptome, die unser Überleben sichern sollen. Unsere Autonomie, unsere wirkliche Handlungsfreiheit steht uns in diesen Momenten nicht zur Verfügung.
Diese Reaktionsmuster des ANS bestehen in Kampf, Flucht oder Erstarrung / Abschalten, wie Steven Porges, der Begründer der Polyvagal-Theorie, es nennt. Die Polyvagal-Theorie befasst sich mit den anatomisch und physiologisch verschiedenen Anteilen des Vagus-Nerves. Des Nervs, der für unser soziales Verhalten und unsere Heilung eine wesentliche Verantwortung trägt.
Die 3 Anteile des Vagus-Nervs
Wenn wir uns in einem Zustand von Stress – ausgelöst z.B. durch Angst, Druck von außen oder innen, fehlender Orientierung usw. – befinden, geraten wir als erstes in einen Zustand von Kampf oder Flucht, das ist die Aktivierung des sympathischen Nervensystems (= Sympathicus).
Welcher dieser beiden Zustände vorherrscht, liegt an unseren bisherigen Erfahrungen und daran, „wie wir so gestrickt sind“. Eine besondere Rolle spielen dabei vorgeburtliche und frühe Kindheitserfahrungen, insbesondere solche, die wir als schlimm und überwältigend erlebt haben. Dies ist unabhängig davon, ob wir uns daran erinnern oder nicht. Diese Erlebnisse beeinflussen unsere neuronale Entwicklung und die Art und Weise, wie die Nerven in unserm Gehirn verschaltet werden. Ein Leben lang. – Es sei denn wir lernen etwas über unser ANS, machen uns vertraut damit und trainieren uns stattdessen auf soziale Zugewandtheit. – Sind Sie interessiert?
Wenn wir im Modus von Kampf oder Flucht sind, erleben wir die Situation als gefährlich und wir wollen unser Überleben / Sicherheit durch ein vermehrtes Handel sichern. Porges nennt das „Mobilisierung mit Angst“.
Hier geht der Blutdruck hoch, die Muskelspannung steigt, die Blutgefäße stelle sich eng, Herzschlag und Atmung beschleunigen sich, die Atmung wird flacher, wir werden unruhig, bekommen vielleicht Ticks oder Restless-Legs, wenn wir die Spannungen nicht ausagieren können oder bekommen Schlafstörungen. Möglich sind auch Süchte, die Adrenalin-Kicks bewirken, wie Extremsport, Bungeejumping, Freeclimbing usw. . Bei dauerhaftem Sympathicotonus, wenn das ANS von diesem Tripp nicht mehr runter kommt, können weitere Symptome auftreten: Nebennierenrindeninsuffizienz, Schilddrüsenüberfunktion, u.a. stressbedingte Langzeitfolgen.
Erleben wir die Situation als noch gefährlicher, lebensgefährlich nämlich, dann geraten wir in den Modus von Erstarrung oder Abschalten. Porges nennt dies „Immobilisierung durch Angst“. hier bestimmt der hinteren Teil des Vagusnerves (dorsaler Vagus) unser Verhalten.
Entsprechende körperliche Reaktionen können sein: Unlust oder Unfähigkeit, sich zu bewegen, verringerte Körper- und Muskelspannung, hypermobile Gelenke, Antriebslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Depressionen, dissoziatives Verhalten, reduzierter Stoffwechsel, Schilddrüsenunterfunktion, Verdauungsstörungen, Gewichtszunahme, Trägheit, Suchtverhalten, übermäßiges Schlafen oder Konsumverhalten (essen, daddeln usw.).
Alle diese Zustände sind Teil menschlichen Erlebens und an sich völlig normal und in Ordnung. Nicht ganz in Ordnung ist es, wenn wir auf einem Modus hängen bleiben – wie der berühmte Sprung in der Platte (die jüngeren Leser kennen das vielleicht nicht mehr?!) – und nicht mehr oder nur sehr schwer davon wegkommen. Dann bestimmt das ANS unser Leben. Wir sind nicht mehr frei.
Wo befinden Sie sich vorzugsweise? Möchten Sie lernen, sich zu befreien und besser regulieren zu können? Dann sprechen Sie mich gern an.

© Zeichnung und Foto: Jutta Spiecker
Eine wirkliche Teilnahme am sozialen Leben oder ein In-Kontakt-Sein-mit uns-selbst ist nur möglich, wenn wir weitestgehend ohne Angst, d.h. ohne Stress sind. Diesen Modus wird durch den vorderne Anteil des Vagusnervs reguliert (ventraler Vagus). Porges nennt diesen Zustand „Immobilisierung ohne Angst“.
Hier sind wir in Ruhe. Jetzt ist Zeit für Sofa, Balkon, Genuss, Liebe, Essen und Gemütlichkeit. Wir können kreativ sein und anderen Menschen wahrhaftig zugewandt sein. Wir sind in der Lage zuzuhören und neue Informationen aufzunehmen, ohne reflexartig zu reagieren. Empfinden Leichtigkeit und Freude.
Wann haben Sie das zum letzten Mal erlebt?
Der vordere Vagus-Ast, versorgt unser Gesicht und unsere Sinnesorgane, daher hat er großen Einfluss auf unsere Wahrnehmung und darauf wie wir uns gegenüber anderen ausdrücken. Er bestimmt auch, wie wir im Gesicht aussehen und vermittelt anderen, wie es uns geht.
Welcher Modus ist Ihnen am vertrautesten? Wo möchten Sie gern sein?
In meiner Praxis gebe ich Ihnen gern weitere Informationen zur Polyvagal-Theorie und erarbeite mit Ihnen Schritte zur Selbsterkenntnis und Weiterentwicklung Ihrer Möglichkeiten, so dass Sie (wieder) fähiger werden, sich selbst in einen zufriedenen, sicheren und orientierten Zustand zu bewegen.
Fortsetzung folgt. 🙂
Literaturempfehlungen:
- Die Polyvagal-Theorie in der Therapie – Den Rhythmus der Regulation nutzen| Deb Dana | Probst Verlag
- Mehr als Verhalten – Neurowissenschaft und Mitgefühl helfen, Verhaltensprobleme von Kindern zu verstehen | Mona Delahooke | Probst Verlag